Das System gerät ins Wanken. Das Ende der DDR zeichnet sich ab | Staffel 2 Folge 2
Shownotes
🎙 Die DDR und wir im DAAD – Folge 2
Staffel 2: Austausch im Wandel
Wie kam es zum Zusammenbruch der DDR – und wie erlebten Zeitzeugen die letzten Jahre vor dem Mauerfall? Alexander Haridi und Elke Hanusch vom DAAD sprechen über politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen, die Ende der 1980er Jahre den Untergang der DDR einleiteten.
🌍 Spannende Einblicke
• Die Fälschung der Kommunalwahlen im Mai 1989 als Auslöser für Proteste und Montagsdemonstrationen • Die wachsende wirtschaftliche Krise und der Rückzug sowjetischer Unterstützung • Alltag zwischen Unsicherheit und Aufbruchsstimmung
💬 Zeitzeugin Waltraud Kliem, ehemalige Mitarbeiterin des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen, erinnert sich: „Eigentlich habe ich immer schon in den letzten Jahren gedacht: Wäre schon schön, wenn Deutschland doch eins wäre.“
🎧 Über das Projekt
Das Zeitzeugenprojekt „Die DDR und wir im DAAD“ dokumentiert über 90 Stunden Interviews mit ehemaligen und aktuellen Mitarbeitenden, DAAD-Alumnae/-Alumni und politischen Wegbegleitenden – emotional, kontrovers und informativ.
🖥️ Formate
Podcast 🎙 | Video-Serie 🎥 | Online-Archiv mit Zeitzeugeninterviews 📖
DAAD-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter haben das Projekt anlässlich des 100-jährigen DAAD-Jubiläums entwickelt und umgesetzt, unterstützt durch Studierende und Kommunikationsprofis aus Ost- und Westdeutschland.
🔗 Weitere Informationen:
🌐 Webseite: http://www.daad.de/ddrundwir
🎥 YouTube: https://www.youtube.com/channel/UC-wnTIo38qxMCUa1VOR6Q
📧 Kontakt: ddrundwir@daad.de
Transkript anzeigen
00:00:00: Die Bevölkerung in der DDR war, glaube ich, gespalten.
00:00:03: Es gab auch einen großen Prozentsatz von Leuten,
00:00:05: auch wenn das heute vielleicht keiner mehr war haben will,
00:00:08: die diesem Regime positiv gegenüberstanden.
00:00:10: Und damit wäre es also auch kein Problem gewesen,
00:00:12: dort Militär oder Polizei dazu zu bringen,
00:00:17: die eigenen Leute zusammen zu knüpfen
00:00:18: und notfalls auch zusammen zu schießen.
00:00:20: Also, da war ich relativ überzeugt davon.
00:00:25: Keiner traute sich, irgendwas zu entscheiden.
00:00:27: Es war also eine Ehringene Lehmung da.
00:00:32: Irgendwann wartete darauf, es muss entschieden werden
00:00:35: und keiner hat was entschieden.
00:00:36: Ja, ist die ganze Seminargruppe
00:00:38: sukzessiv in Westen abgehalten.
00:00:41: Also über irgendwelche illegalen Sachen wie
00:00:43: oder über ungarnere, sonst wie.
00:00:45: Die DDR und wir im DAAD.
00:00:53: Eine Zeitzeugenbefragung.
00:00:56: Folge 2, das Systemgerät ins Wanken.
00:01:00: Hallo, ich bin Alexander Riedi vom DRD
00:01:03: und heute im Studio mit Elke Hanos.
00:01:06: Elke, seid bereit?
00:01:08: Immer bereit.
00:01:10: Mit diesem DDR-Gruß sagen wir Hallo zu dieser neuen Episode
00:01:15: in der Podcastaffel "Die DDR und wir im DAAD".
00:01:20: Ja, und wir wollen noch mal zurückgehen
00:01:22: an den Beginn dieses Projektes.
00:01:25: Da stand eine Idee, die war noch umgrenzt.
00:01:29: Und zwar schon groß, aber kleiner als sie heute gewesen ist.
00:01:34: Die ursprüngliche Idee war, nachzuforschen,
00:01:36: wie der DAAD sich in der Zeit der Vereinigung
00:01:39: der beiden deutschen Staaten verhalten hat,
00:01:41: also um die Zeit 1989.
00:01:45: Ursprünglich dachten wir mal an 10,
00:01:47: vielleicht 15 Interviews,
00:01:49: spezifisch zu dieser sogenannten Wendezeit zu führen.
00:01:53: Am Ende sind es nun 60 Interviews geworden
00:01:57: und der Fokus hat sich extrem geweitet.
00:02:00: In dem Moment, wo wir uns dafür entschieden hatten,
00:02:03: offene biografische Interviews zu führen,
00:02:06: uns Lebensgeschichten erzählen zu lassen
00:02:09: und damit auch quasi die Vorgeschichte zu den Veränderungen,
00:02:14: die letztlich zum Ende der DDR geführt haben, darzustellen,
00:02:18: in dem Moment haben wir den betrachteten Zeitraum extrem geweitet,
00:02:22: denn wir haben gefragt, nach Kindheit, nach schulischen Erfahrungen,
00:02:27: und gehen da zurück bis in die 50er-Jahre zum Teil.
00:02:32: Und aus der Vielfalt der Perspektiven,
00:02:36: die sich ergeben durch Klassenunterschiede,
00:02:38: also zum Beispiel bin ich Kind von Arbeitern oder Akademikern,
00:02:42: oder aufgrund der nationalen Herkunft
00:02:45: betrachte ich die Dinge als DDR-Bürger oder als Bürgerin Polens
00:02:50: und aufgrund der vielfältigen individuellen politischen Einstellungen
00:02:54: und der Persönlichkeiten bieten unsere Quellen
00:02:58: ein vielschichtiges und auch vielfältiges Bild.
00:03:02: Darüber, wie Menschen im politischen und gesellschaftlichen System
00:03:09: der DDR gelebt haben und der Lebensbereich, den wir hier besonders
00:03:13: in den Blick nehmen, ist die Hochschule
00:03:16: und sind insbesondere die internationalen Aspekte darin.
00:03:20: In der heutigen Staffel, die wir hier als Arbeitstitel benannt haben
00:03:26: mit das Systemgerät ins Wanken,
00:03:29: das ist der Begriff, auf dem wir in der Auswertung der Interviews
00:03:34: diese Folge erst mal gebracht haben,
00:03:38: geht es um die Veränderungen, die irgendwann einsetzten
00:03:42: und am Ende zum Untergang oder zum Ende der DDR geführt haben,
00:03:47: aber ab wann begann diese Veränderung?
00:03:50: Welche Vorzeichen gab es?
00:03:52: Welche anderen alternativen Wege hätten sich die Menschen vielleicht gewünscht?
00:03:57: Und wie sind Mittel- und Osteuropäische Perspektiven auf diese Veränderung,
00:04:03: die ja nicht bloß die DDR, sondern den gesamten sozialistischen Block
00:04:07: in Mittel- und Osteuropa erfasst hatten?
00:04:12: Die sehr diversen und mit unter auch kontroversen Aussagen
00:04:17: der befragten Menschen zu diesen Fragen möchten wir in dieser Folge präsentieren.
00:04:22: Es sind viele, die sind vielfältig.
00:04:25: Wir haben versucht sie thematisch zu sortieren,
00:04:30: wo es geht auch in die Chronologie der historischen Abläufe zu bringen.
00:04:36: Aber mir ist wichtig zu sagen, dass diese Aussagen keine These untermauern sollen,
00:04:46: die wir hätten oder die wir hier aufstellen wollen,
00:04:48: sondern wir wollen Zeitzeugenerinnerung aufzeigen in ihrer Vielfalt.
00:04:53: Und zu der Frage, wie wird die DDR im Rückblick dargestellt und repräsentiert hat,
00:05:01: unser Kollege Carsten Walbina, etwas, was ich finde, sehr klub ist gesagt?
00:05:07: Wie gesagt, was glaube ich wirklich wichtig ist, ist zu verstehen,
00:05:11: dass diese Äußerungen einen sehr, sehr, sehr individuellen Charakter tragen.
00:05:17: Ich werde auch oft gefragt, was hältst du von Filmen, Lenin Allee oder was auch immer,
00:05:23: über die DDR, wie realistisch sind die?
00:05:26: Und da muss ich sagen, das kann ich nicht beantworten.
00:05:29: Mein Leben war nicht so, aber wenn ich dir jetzt mein Leben schildere,
00:05:33: werden höchstwahrscheinlich 16,8 Millionen sagen, mein Leben war auch nicht so.
00:05:39: Und mein Empfinden war ein anderes.
00:05:43: Also das ist, glaube ich, eines der großen Probleme,
00:05:48: dass man immer versucht für die DDR sozusagen eine Art Generalurteil zu fällen,
00:05:54: dass das Land oder das Leben in der DDR war so und so.
00:05:58: Und auch wenn ich oft die Bilder sehe, sie geben, selbst dokumentarische Bilder geben,
00:06:03: nicht die wirkliche Realität wieder.
00:06:06: Und sind manchmal sogar eher verzerrend in der Wahrnehm,
00:06:12: insbesondere für Leute, die es nicht selbst erlebt haben.
00:06:14: Das war Carsten Walbina und jetzt hören wir den Kollegen Holger Finken.
00:06:19: Der hat die Umbrüche in der Sowjetunion selbst erlebt, wo er sich zum Studium aufhielt.
00:06:26: Gorbatschow ist ja nicht von Hühne gefallen.
00:06:28: Die Stimmung in der Sowjetunion zu meiner Studentenzeit war natürlich ausgesprochen schlecht,
00:06:36: also auch unter den Intellektuellen und unter den Leuten, die was zu sagen hatten,
00:06:40: weil denen auch allen klar war, dass das nicht funktionieren wird,
00:06:43: auf der Dauer, wie sie das machen.
00:06:45: Deswegen wurde ja auch schon ein Drop-off als Heißbringer begrüßt,
00:06:49: der das endlich ändern würde, zum besseren ändern würde.
00:06:53: Und in der Presschneffzeit war die Stimmung aber wirklich schlecht.
00:06:57: Also solche Lose wie Sozialismus hat verschissen.
00:07:01: Die hat man zwar nie gerade auf der Parteiversammlung an die Wand gehängt,
00:07:05: aber das hat jeder Zweiter einmal erzählt, spätestens wenn er ein Bierintuss hatte.
00:07:10: Also die Stimmung war da schon schlecht.
00:07:13: Und das war ja in der DDR nicht so.
00:07:15: Also man konnte auch nicht mehr entfernt, das und sowas laut sorgen.
00:07:19: Und in der ganz späten DDR hat man sich auch nicht mehr die Mühe gemacht,
00:07:22: sowas zu sagen, so ein hat 'n Ausreiseantrag gestellt.
00:07:25: Was ja dann die konsequentere Lösung ist nicht.
00:07:28: Die Möglichkeiten hatten die Russen ja nicht.
00:07:31: Und insofern, dass das alles ein bisschen komisch läuft war,
00:07:36: glaube ich allen Leuten in meinem Alter,
00:07:39: ganz unabhängig von der politischen Einstellung, eigentlich ziemlich klar.
00:07:43: Und der Einschnitt war natürlich kapert scharf.
00:07:50: Und ich saß dann ja in der, also auch als ich noch nicht an der Sprachabteilung war,
00:07:55: wusste ich ja, wo die ist und wo die an die Bibliothek ist.
00:07:57: Und die kriegten ja die ganzen sowjetischen Veröffentlichungen auf Russisch.
00:08:00: Und die waren ja nicht gesperrt.
00:08:02: Der Sputnik kam sehr dann bekannt nicht mal irgendwann verboten, weil der auf Deutsch war.
00:08:06: Aber ich habe diese ganzen hochketzerischen Texte ab 85 ständig gelesen.
00:08:12: Radio Liberty wurde auch nicht mehr gejampt.
00:08:14: Also ich habe auch ständig auf Russisch westliches Radio dann hören können und so weiter.
00:08:20: Und gut, das hat man natürlich positiv gefunden, diese Veränderung und gehofft,
00:08:26: dass das mal zu irgendeinem vernünftigen Ausgang führt.
00:08:29: Nicht unbedingt zu einer Wiedervereinigung oder zum Ende des Realsozialismus oder so.
00:08:34: Das hat man ja nicht so hoffengewagt, auf Deutsch gesagt.
00:08:38: Aber eben zu einer nicht ganz so verkalkten und verkrampften Situation, wie sie eben bestanden hat.
00:08:47: Ja, Holger Finken beschreibt den Wandel in der Sowjetunion, der unter Gorbatschow,
00:08:53: die eher offizielle Linie geworden ist, also sozusagen Wandel autorisiert.
00:09:02: Davon emanzipiert sich die DDR-Führung.
00:09:06: In gewisser Weise wollte nicht von der Sowjetunion lernen.
00:09:12: Und unser Kollege im DAD, ehemalige Kollege Gottfried Gügold schildert das.
00:09:21: Es gab diesen berühmten Spruch aus dem Zentralkomitee der Partei von einem Kurt Aga,
00:09:30: der gesagt hat, bezogen auf Perestroika am Glassenhaus in Moskau,
00:09:35: wir brauchen in der DDR keinen Tapetenwechsel.
00:09:38: Und das ist auf Deutsch, wir haben uns alle danach zu richten.
00:09:42: Heinz Wegener dagegen, aufgewachsen in Brandenburg und die DDR schon verlassen haben vor dem Bau der Mauer,
00:09:55: sieht das Ende der DDR relativ früh kommen.
00:10:01: Also als die DDR im Oktober 1989 ihr 40. Jahrestag feierte, wie viel Zeit haben Sie der DDR da noch gegeben?
00:10:12: Das ist eine gute Frage, nicht sehr lange.
00:10:16: Ich habe damit gerechnet, dass dieses System der alten Männer relativ schnell doch jetzt im Ende zugeht,
00:10:22: zumal auch die Unterstützung durch die Sowjetunion fehlte, denn Gorbatschow aus Antwort "Wer zu spät kommt, dem beschraft das Leben" in dieser freien Übersetzung.
00:10:35: Das war damals schon also virulent und wir haben uns darauf eigentlich, das war eine sehr stürmische Zeit natürlich.
00:10:46: Gehen Sie bitte mal davon aus, das haben Sie bestimmt schon erfahren.
00:10:52: Dass wir sowohl dort Informationen bekamen als auch dort, das heißt es war in der Tat so, man schaltete um und hatte andere Nachrichten und jene Nachrichten.
00:11:09: Und wir waren erstaunt, wie eine breite Masse der Bevölkerung auf die Straße ging.
00:11:25: Das begann ja mit relativ kleinen Demonstrationen und wurden dann immer größere Demonstrationen und auch in Berlin nahmen sie zu.
00:11:38: Aber es waren ja nicht die ersten Demonstrationen.
00:11:42: Eigentlich begann aus unserer Sicht der neue Kurs, der von Gorbatschow in der Sowjetunion gegangen wurde nach der Devise.
00:12:03: Die befreundeten Länder mögen ihren eigenen Weg finden und sich öffnen, also Perrestreuger und Glasnost war damals sehr viel im Gespräch und das war für mich der Auftakt zu begreifen und festzustellen,
00:12:28: dass auch in der DDR diese Fragen immer mehr in den Mittelpunkt rückten und der Höhepunkt war die demonstrative Zuwendung der Bevölkerung zu Gorbatschow und seinen Ideen zum 40. Jahrestag der DDR.
00:12:56: Und das war für mich der Beginn der Hoffnung von strukturellen Veränderungen in der DDR.
00:13:07: Dabei dachte ich noch gar nicht an ein Ende der DDR, sondern ich dachte eher eine veränderte DDR, eine geöffnete DDR, eine andere, wenige administrativ geregelte DDR,
00:13:28: denn ich fühlte mich in der DDR eigentlich gut aufgehoben, weil ich in der DDR einen Weg gehen konnte und alle Möglichkeiten ausnutzen konnte, um eine bestimmte Qualifikation und eine bestimmte Bildung zu erhalten.
00:13:56: Und mir hat die DDR auch der internationale Charakter gerichtet auf Entwicklungsländer gefallen.
00:14:08: Wenn wir uns die Entwicklung hin zum 9. November 1989 anschauen und die historischen Umwälzung im Vorfeld, finde ich ja nicht von heute auf morgen statt.
00:14:20: Also es ist ein Prozess innerhalb oder in der Rückschau der Bewertung dieses Prozesses gibt es Personen, die das Ende eher später kommen sahen, es gar nicht kommen sahen, aber es gibt auch Personen, die es früher kommen sehen.
00:14:37: Dazu gehört Herr Wegener, den wir gerade gehört haben und gleich nochmal hören werden, und Frau Klim.
00:14:45: Ab Ende '77 ging es abwärts und wir rechneten alle damit, dass der Zusammenbruch kommen würde.
00:14:53: Die DDR war ja im Prinzip nur eine Werkbank der Soviet Union.
00:14:58: Und da die Soviet Union an der Berüstungswettlauf mit Amerika nicht mehr konkurrieren konnte und dort auch sich entsprechende Bewegungen ankündigten, waren wir relativ gut informiert.
00:15:10: In jedem Fall war der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, der Name des Professors ist mir jetzt im Augenblick gefallen, sehr frappiert, wie gut ich damals also informiert war, besser als er mit seiner offiziellen Abteilung der DDR.
00:15:29: Also Sie haben das wirtschaftliche, das volkswirtschaftliche Ende der DDR kommen sehen.
00:15:35: Und habe mich dann versucht schon darauf einzustellen, dass wir unter Umständen unserer uns neue als auch dem DRD neue Aufgaben zuwattesten könnten.
00:15:47: Ich fing dann an so ein kleines Netzwerk aufzubauen, in vielen Fall der Fälle, dass ich aber nachher nicht benutzt habe, als wir die ASBM gegründet haben.
00:15:58: Klar, eine Versiebsterjahre ist besser hier gegangen mit dem großen Darliegen von Stroms, aber das musste zurückgezahlt werden, zur Röhnensinsen nachher und da ist die Bombe geplatzt, nach und nach.
00:16:09: Haben wir zwei O-Töne gehabt aus der deutschen Perspektive mit dem nächsten Zitat von Ruth Leiserowitz, Osteuropa-Historikerin, bekommen wir eine Perspektive, wie es in anderen Ländern gesehen wurde, zum Beispiel in Polen.
00:16:28: In der Tseroslovakai oder auch in den Waldischen Sowjetrepubliken.
00:16:34: Wir haben glaube ich nicht gedacht, dass es wackelt, sondern dass man, dass sich etwas reformieren lässt.
00:16:42: Wir waren auch so in diesem Denken verhaftet, dass es sein könnte, dass eine Teile des Ostblocks so stark reformiert, dass sie weiter Bestand haben können.
00:16:57: An einer Auflösung des Ostblocks haben selbst die größten Utopisten kaum geklaubt.
00:17:06: Wie man anfängt, über Dinge zu sprechen, über die 50 Jahre nicht geredet wurde, wie der Molotow Ribbentrop-Pakt, von dem es hier hieß, es habe ihn nicht gegeben, weil es gäbe keine Unterlage im Archiv dazu.
00:17:22: Man findet dann im Archiv des Auswärtigen Amtes die Kopie und später wird das dann auch von der sowjetischen Regierung anerkannt und die DDR berichtet sehr unwillig von den Berichten von den Verhandlungen am runden Tisch.
00:17:45: In den ersten halbfreien Wahlen von 4. Juni 1989 münden wir in Polen, und das sind Dinge, die man in DDR nur, wie man in Berlin sagen würde, mit den Ohren schlockern.
00:18:05: Man ist auch ein bisschen misstrauisch, man hat ja vorher gerade am 10. Mai 1989 Kommunalwahlen in der DDR gehabt, deren Ergebnisse so massiv gefälscht wurden, obwohl es ganz viel Bürgerüberwachung gab.
00:18:28: Viele Bürgerkomitees haben dann ihre alternativen Rechnungen dazu veröffentlicht und aus der DDR traut man den gar nicht so viel zu, dass aus diesen Wahlen wirklich etwas wird.
00:18:47: Aber ich war zufällig zu diesem Wahl-Somtag in Polen und mich hat diese Festtagsstimmung fasziniert und andererseits eben auch die Wahlplakate der Solidarnösch mit diesem Hainun Cowboy, das war wieder eine Bild- und Formensprache der polnischen Plakatkünstler.
00:19:16: Die im Denken der DDR unmöglich gewesen wäre und dann sieht man, hi, es geht doch, und dann gab es im Sommer, im August 1989 eine Woche, die hat für mich so wie unter Imbranjas gezeigt,
00:19:44: was alles in Osteuropa passiert, also am 19. August gab es ein großes Picknick an der österreichischen Grenze verbunden mit einer Massenflucht von DDR-Bürgern.
00:19:58: Am Montag drauf, am 21. August gab es in Prag auf dem Wärtssitzplatz eine riesengroße Demonstration. Ging die auch keiner Einschritt, keine Polizei zur Erinnerung an den Einmarsch der sowjetischen Armee 1968 in Prag.
00:20:20: Zwei Tage später gab es in den Baltischen Sowjetrepubliken eine große Menschenkette über 600 Kilometer lang zur Erinnerung an den Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes vor 50 Jahren davor.
00:20:37: Das war eine unglaubliche Manifestation und am Tag danach wurde Tadeusz Masowiecki als erster nicht kommunistischer Ministerpräsident Polens vereidigt und diese rasche Abfolge von Ereignissen in den verschiedenen Staaten
00:21:02: zeigen doch, dass hier wirklich etwas ganz stark in Bewegung gekommen ist und ich denke, diese Wahrnehmungen haben dann auch DDR-Bürger beflügelt, ihre Gründungspapiere für neue Organisationsformen zu entwerfen wie das neue Forum "Demokratie Jetzt",
00:21:26: dann später auch die DDR, SID, ESPD usw. und damit kam eigentlich alles ins Rollen, was dann nachher im Mauerfall des 9. November gemündet hat.
00:21:44: Unser ehemaliger Kollege Thomas Braal, der zu der Zeit an der Universität Greifswald im internationalen Bereich tätig ist, erinnert sich wie die Umwälzungen langsam durchsickerten in die Provinz von Berlin.
00:22:07: Eigentlich sagt er so richtig, was mitbekommen, haben wir nicht.
00:22:12: Eigentlich nicht, also sagen wir mal, man muss immer unterscheiden, das ist mal schwer verständlich, in Berlin hat man sicherlich etwas mehr davon gemerkt, also Kollegen, die in Berlin im Ministerium waren, werden sicherlich sagen, ja, da war schon was Dings.
00:22:27: Es gab ja zwei Gegenden bei uns, einmal die Küste der Ahnungslosen, das war oben Greifswald-Rostock und das Tal der Ahnungslosen war Dresden, da kam immer alles ein bisschen später.
00:22:38: Da waren wir gar nicht mal böse drüber, dass wir die ganze Knarsche an uns vorbeiging, aber wenn wir gewusst hätten, dass ein Jahr später es knallt, richtig knallt, ja, beginnend mit Leipzig, mit den hunderttausend Leuten, also wären wir sicherlich nicht ins Ausland gegangen.
00:22:57: Dann hat es also hörbar geknallt und in Ostberlin hat das Waldhaut-Klim auch für den Hochschulbereich gehört.
00:23:04: Ja, ich war bei meinen Eltern, bei meinen alten Eltern und habe die aktuelle Kameraarmz gesehen und habe hier sehen, wie die Grenzen offen waren und die Leute rüber gingen, ja, also das war mein ...
00:23:17: Das war im November 1989.
00:23:19: Das war im November 1989 ja, das war auch so ein Erlebnis, aber wie sagt es?
00:23:26: Was haben Sie da empfunden?
00:23:29: Naja, eigentlich habe ich immer schon in den letzten Jahren gedacht, wäre schon schön, wenn Deutschland doch eins wäre und weil man mit diesem System nicht mehr so ganz klar kam.
00:23:44: Aus dem einfachen Grunde, weil eben zu viel verschiedene Beziehungen eine Rolle spielten.
00:23:50: Im Ministerium habe ich eben gelernt, dass jeder, der dort gearbeitet hat, das waren ja alles Hochschulabsolventen, aber die hatten ja ihr Auskommen,
00:23:59: in dem sie genug gute Gehälter hatten und auch Reisen konnten zum Teil und auch die Wiesen hatten von den Dienstreisen, also ging es eigentlich gut.
00:24:11: Aber sie hatten meiner Ansicht nach den Blick zur Uni verloren, ich kam ja aus der Humboldt-Union und wir hatten Ausreiseanträge ohne Ende.
00:24:19: Die Leute sind nur noch das ganze Jahr, auch meine Kollegen auch, ständig zu welchen Tanten hier fahren und haben Geld mitgebracht und alles hier schwärmt.
00:24:29: Also du hast es schon nicht mehr ordentlich arbeiten können, also es war fast abzusehen, es hat einfach keinen Spaß mehr gemacht.
00:24:35: Deshalb bin ich dann auch noch mit rüber zum Ministerium gewartet, keine Schiene, weil sie das so in der Realität nicht geschneit haben.
00:24:42: Dann kamen von den Hochschulensbarberichte, was an die Universitäten los war, aber sie wurden natürlich geschönt und je höher das ging.
00:24:52: Und wenn dann eben mal vielleicht auch im Ministerium den Minister, den damaligen Minister hoch- und Fachschulwesen dazu gebracht haben, mal aufzustehen und zu sagen,
00:25:01: ein bisschen Opposition zu machen, dann hatte er natürlich Mundverbot, dann macht er es dann nie wieder.
00:25:08: Aber das ist der Professor Böhne, ne?
00:25:09: Ja, Kollege von Waldhraut Klim im damaligen Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen in der DDR war Kai Erzolt.
00:25:15: Er erinnert sich daran, wie man im Ministerium versucht hat, Kompetenzen aus Berlin an die Hochschulen in der DDR abzugeben,
00:25:26: so wie Kai das stildert, auch in der Absicht Veränderung zu bewirken und die Hochschulen zu stärken.
00:25:35: Aber so eine Einheit oder so, das ist, glaube ich, ein Prozess, das zieht sich auch so über eine längere Zeit.
00:25:43: Also wir haben ja, wenn man mal im Vorfeld der Wende sieht, dann war das eigentlich schon abzusehen, dass sich da was ändern muss, ne?
00:25:51: Also wir haben noch, ich glaube, das waren 89, im Sommer haben wir noch mal einen Treffen der Osteuropäischen Ministerien gemacht.
00:26:03: Also für internationale Beziehungen, so und das war eigentlich das letzte Mal, dass wir uns alle so in so einer Gruppe getroffen haben, ne?
00:26:14: Und wir wussten eigentlich, das wird das letzte Mal sein, so, das geht auseinander so, ne?
00:26:22: Also jedes Land hat in Osteuropa eine andere Entwicklung genommen.
00:26:27: So und was wir eigentlich, wir hatten schon angefangen, bestimmte Dinge zu dezentralisieren.
00:26:35: So die Studien, also dass wir Hochschulpartnerschaften haben wir versucht zu dezentralisieren, nicht mehr, dass das Ministerium entscheidet, Herr Sowieso darf reisen, sondern wir haben das dann in die Verantwortung der Hochschulen gegeben.
00:26:50: Und das wollten wir eigentlich auch dann in der Einheit retten.
00:26:56: Also ich habe mich am Anfang immer gewundert, dass wir, da haben wir viel darüber geredet, dass wir keine Hochschulpartnerschaften fördern und das haben wir aber dann 95, 96 wurde das dann eingerichtet.
00:27:09: Ja und das waren so Sachen, die wir ja versuchten auch zu retten und so hat es auch, bei der Germanistik gab es auch solche Überschneidungen, nicht?
00:27:21: Also wenn man sich mit dem Grimmpreis, also das gab es nicht und das wurde dann eingerichtet, der Grimmpreis, den gab es in der DDR und der wurde dann frautgeführt, unter anderem Blickwinkel, aber trotzdem für Germanisten.
00:27:38: In meinen Interviews habe ich immer wieder gefragt, was fandet ihr gut an der DDR, im Rückblick, was hat euch missfallen?
00:27:47: Und jetzt kommt mal eine Reihe von Aussagen dazu, was positiv war an der DDR, also was man im Rückblick vielleicht auch gerne erhalten oder mit rüber gebracht hätte in das Vereinigte Deutschland.
00:28:04: Also was ich für bedenkenswert halte, ist das medizinische System, also ein Polykliniksystem, wo es in jedem Stadtbezirk ein zentrales medizinisches Institut gab, mit verschiedenen Fachärzten.
00:28:21: Man hatte immer noch die freie Arztwahl, das war jetzt nicht, dass ich unbedingt in diese Polyklinik gehen musste, ich hätte auch zu einem anderen Arzt gehen können, allerdings waren dort dann die Wege deutlich weiter.
00:28:32: Und man hatte hier den Vorteil, dass man alle Ärzte an einem Ort hatte, dass auch das Equipment da war, wenn ich heute sehe, so was, das jeder Arzt, was die an technische Ausstattung in ihren Praxen haben, was sich ja alles letztlich auch niederschlägt in den Kosten, die unser Gesundheitssystem erzeugt.
00:28:50: Also ich glaube, da hätte man zumindest darüber nachdenken können und das ist ja offensichtlich auch kein undemokratisches Herangehen, weil es das auch in einigen anderen Westeuropäischen Ländern auf dieser Weise gibt.
00:29:01: Ich meine, es ist eine Errungenschaft, die aber Zeit, die bedingt war durch das System, natürlich waren die Beziehungen zwischen Menschen im Osten oft enger als das heute ist, wo wir stärker das Gefühl haben, dass die Leute nebeneinander leben, dort hat man mehr miteinander gelebt, allerdings war das eben auch bedingt durch das System.
00:29:19: Auch man war angewiesen auf einen Nachbarn, der zum Beispiel über bestimmte Fähigkeiten verfügte oder der einem etwas besorgen konnte. Es gab ein, denke ich, relativ gut funktionierendes Betreuungssystem für Kinder, man hatte ein Anrecht auf einen Krippen- oder Kindergartenplatz.
00:29:35: Auch da gibt es natürlich immer negative Berichte, dass diese nicht unbedingt 100%ig gut funktioniert haben. Aber dass man sozusagen hier für die Familien etwas getan hat, das ist glaube ich unbestreitbar.
00:29:48: Was sicherlich eine große Errungenschaft gewesen ist, dass man einen hohen Grad an Frauenbeschäftigung erreicht hat, dass Frauen auch in der Arbeit, soweit ich das einschätzen kann, weitgehend gleichberechtigt waren, die Unterschiede in Gehältern, wie man sie heute zum Teil noch findet, waren so nicht gegeben.
00:30:07: Ich meine, wir haben auch den ersten Auftritt von den Kollegen aus Bonnier gehabt, wo man ja immer dachte, dass wir im Prinzip nur Mixismus-Leninismus studiert haben.
00:30:16: Also ich sage mal ganz ehrlich, das, was ich geworden bin, verdanke ich der DDR.
00:30:24: Ich bin, meine Mutter war alleinstehend, 42 Geboren, uneheliges Kind, das war ja eine Kleinstadt, nun habe ich gerade einen Aushängeschild.
00:30:34: Aber meine Mutter war Telefonistin, die hat 314 Mark verdient, also sie hat es aber dann als die Lehrer in der Schule,
00:30:45: dann haben sie überzeugt, dass sie mich zur Oberschule gehen lässt, hat sie auch gemacht und es war, ich habe schon in der Oberschule 45 Mark,
00:30:56: ja heute wird es man vielleicht Sozialhilfene oder BAföG oder sowas bekommen, weil das einfach sonst nicht machbar gewesen wäre.
00:31:04: Von der DDR vermisse ich am meisten?
00:31:09: Ja, die Sicherheit sicherlich, was vermisse ich?
00:31:14: Nö, ja undet untereinander, praktisch sich so aushelfen und ja, sie sind menschliche, du hast jeden aufgefangen und das ist heute eben vierfach,
00:31:25: sind die Menschen auf sich alleine gestellt, du hast auch Einblick gehabt, heutzutage habe ich immer der Eindruck, keiner lässt den anderen mehr so in die Karten gucken,
00:31:33: weil bei uns anders, da konntest du rüber gehen zum Nachbarn, die Tür war offen und du konntest rein und hallo, hast du nicht mal uns sucht.
00:31:40: Meine Wasser in unserem Staat gut war, das wir alle zum Facharbeiter geführt haben, es gab bei uns wirklich keine Uni-Lernten und der 5-Klassenabschluss hat ein Teilfacharbeiter gemacht
00:31:50: oder die alte Dame noch, wie es ich war, haben sie auch dann noch als Diät köcheln oder jeder hatte noch eine Entwicklungsmöglichkeit.
00:31:59: Ja, also das war schon erstaunlich und die Knackis wurden eben bei uns in der Hausverwaltung in der Uni beschäftigt, die mussten auch jeden Tag beim Dienst antanzen,
00:32:08: also wir haben keinen allein gelassen.
00:32:11: Also Frau Klima erinnert sich, dass es für jeden und wirklich für jeden noch eine Verwendung gab im System der DDR auch für die Knackis.
00:32:22: Die waren eingesperrt und mancher sagt ja, das ganze Volk war eingesperrt durch diese Mauer.
00:32:32: Coole Überleitung.
00:32:34: Ob das so stimmt, ist die Frage und das haben wir in der Interviewauswertung bemerkt, doch ein roter Faden, der sich durch alles sieht, das Thema Reisen.
00:32:47: Die Antwort auf die Frage, ja, wie eingesperrt war man dort, die ist wirklich nicht mit klar oder mit ja oder nein oder mit eingeschlossen oder offen zu beantworten,
00:32:59: weil es ganz verschiedene Erfahrungen gibt dort.
00:33:07: Deshalb, wir fanden das so wichtig und so reichhaltig das Thema, dass wir dem eine ganze Episode gewidmet haben.
00:33:14: Aber wir spoilern mal ein bisschen und hören doch mal den Matthias Petzold und Frau Klim zu der Frage, was Reisefreiheit, die Reisemöglichkeit Bürgern der DDR bedeutet hat.
00:33:29: Ja genau, kleiner Sneak Preview.
00:33:32: An einer Wiedervereinigung habe ich nicht gedacht oder auch nicht geglaubt, weil ich gedacht habe, dass die Ausrüstweise oder die Sowjetunion wird das nicht zulassen.
00:33:42: Reformen innerhalb des Sozialismus können möglich sein und sind am Horizont.
00:33:47: Hoffnung. Was man sich eigentlich wünschte ist, man lebte ja auch da, man hatte seinen
00:33:53: Bekanntenkreis da, war Reisefreiheit, also waren Freiheiten ja. An politische noch größere
00:34:01: Veränderungen habe ich nicht gedacht und auch nicht geglaubt.
00:34:04: Warst du dich auch nicht nachgesehen, oder? Das war jetzt kein, oder hättest du gewünscht?
00:34:11: Ich glaube, ehrlich zu sagen gesehen, nee, also wenn ich hätte reisen können oder sowas
00:34:15: und ich behalte meinen Job, der so uninteressant ja auch nicht war und so und dann hätte ich
00:34:21: auch weiterleben können. Insofern war der 9. November 1989 dann ein erfreulicher Tag. Da
00:34:29: hattest du ja deine Reisefreiheit. Da hatte ich meine Reisefreiheit, ja. Die Welt eben
00:34:34: doch ein bisschen erkundigt. Das war uns ja doch mehr oder weniger nicht möglich und
00:34:39: deshalb eben auch die Niese mit dem Wohnstück. Das war unser Feriendomizial, weil woanders
00:34:44: ja nicht hingekommen bist, ja. Reisen und nicht oder auch nicht reisen können als
00:34:52: wichtiges Thema in der DDR. Es gab natürlich auch Menschen, die an der DDR oder in der
00:35:00: DDR gelitten haben und in dem Moment, wo sie quer zum System standen oder sich offen positioniert
00:35:10: haben, gab es ja harte Repressalien gegen sie und dazu hören wir jetzt auch ein paar
00:35:18: Erfahrungen aus unseren insgesamt 60 Interviews. Wir beginnen mit Karsten Walbina, der nochmal
00:35:23: ja den Raum für Meinungsäußerung bestimmt, der der bestanden hat und dann berichten
00:35:31: Herr Gügolt, Herr Wegener, Kai Franke und Prof. Lai Serovitz, welche Repressalien und
00:35:41: wirklich krassen Einschränkungen man als DDR-Bürger auch erleiden musste.
00:35:47: Diese Regierung wäre das Volk und der tatsächlichen Realität. Was man weniger, mag vielleicht
00:35:55: irritierend klingen, aber weniger empfunden hat, ist, dass man nicht seine Meinung sagen
00:35:58: konnte, weil da hat man Wege gefunden, sie halt im privaten oder halb privaten Kreis
00:36:04: von sich zu geben und wenn man eben es in der Öffentlichkeit nicht tun konnte, dann
00:36:09: hat man es eben nicht getan. Beziehungsweise man war sich auch im Klaren, dass die Ansprechpartner,
00:36:14: die man da vor sich hatte, den Staatsbürger, Kundelehrer oder den Professor des Marxismus,
00:36:20: dass das auch Leute sind, die man mit einer Gegenmeinung gar nicht erreicht, weil oft
00:36:25: machten die den Eindruck wirklich der 100-prozentigen. Also dieser fehlende Diskurs über Entwicklungen
00:36:34: war in meinem Fall nicht der Hauptreibungsfläche. Aber wie gesagt, dafür gab es eben auch Ventile.
00:36:44: Es war ja nicht so, dass man jetzt auch teilweise in den ganz schlimmen Phasen des Stalinismus
00:36:49: sich in der eigenen Wohnung bespitzelt gefühlt hat. Oder das ist eben, wie gesagt, das Westfernsehen,
00:36:54: der Empfang wurde nicht behindert. Man konnte jeden Tag das Radio und den Fernseher anmachen
00:36:59: und andere Meinungen hören und sich dann versuchen, selbst eine Meinung zu bilden.
00:37:04: Das wurde ja zwar nicht sozusagen gefördert, aber es wurde nicht unterbunden.
00:37:09: Durfte nicht Joma Pionier werden? Dafür musste meine Eltern das Einverständnis geben und
00:37:14: die Unterschrift bekam ich nicht, weil meine Mutter das nicht wollten. Sie sahen einen
00:37:19: Platz in der Kirche. Das war für mich eine schlechte Entscheidung, denn ich war damit
00:37:25: das schwarze Schaf in der Klasse. Ich lief in die Kirche und bei den Jungen Pionieren,
00:37:32: ich will nicht sagen, dass die Jungen Pioniere so etwas waren wie Pfadfinder, aber wir machten
00:37:37: Lagerfeuer und es gab schöne Nachmittagsveranstaltungen und das konnte ich alles auch nicht mitmachen.
00:37:42: Aber der Weg zum Studium war ihm mehrfach versperrt?
00:37:45: Das war mir mehrfach versperrt. Ich durfte zwar, wie gesagt, noch Abitur machen. Das
00:37:51: war einen besonderen Umstand geschuldet, dass wir an unserer Schule einen Streit zwischen
00:37:58: verschiedenen Fraktionen der SED hatten. Das hing damit zusammen. Das hatte ich vorhin
00:38:03: erörtert, dass die SED 1951 war das. Alle ehemaligen Älteren, die Rektoren ablösen wollte,
00:38:15: die akademisch gebildet waren, häufig aus der Sozialdemokratie stammten, die die Zwangsvereinigung
00:38:22: nun ins Wohnens SED genossen waren. Die Zwangsvereinigung von KPD und SPD?
00:38:28: Von KPD und SPD ja. Und da bekamen wir nachher einen Junglehrer, der sich also als ein ganz
00:38:36: Übleugnahme entwickelte, der also die erste und zweite Lehrerprüfung wohl hatte, aber
00:38:41: die Abitur gemacht hatte. Und von dem wir also ständig über quer lagen. Und der dann
00:38:49: politische Führungszeugnisse schrieb, also was wir später erfahren haben, was ich durch
00:38:54: den Schriftsteller Dr. Schädlich erfahren habe, der 1954 an unserer Schule Abitur machte,
00:39:02: dass er, wie gesagt, nicht nur die Schulleitung, sondern auch die FTJ-Leitung, sondern politische
00:39:08: Führungszeugnisse über jeden einzelnen Abiturienten errichtete. Und die Schüler wussten das gerade?
00:39:14: Man bekam das nie zu Gesicht? Nein, man bekam das nicht nicht zu Gesicht. Das war top-sigert,
00:39:20: das wussten wir nicht. Aber wir haben es dann nachher später erfahren. Ich habe dann
00:39:28: durch den Professor Gehilder von der Forsterlichen Hochschule herausbekommen, der mich gerne
00:39:34: an seiner Hochschule unterbringen wollte, weil ich mitterlicherseits aus einer uralten
00:39:39: Försterfamilie stammte, meiner Mutter, und von daher er mir versuchte, einen Studienplatz
00:39:47: an der Forsterlichen Hochschule zu sichern. Das ging dann aber nicht, weil eben die politischen
00:39:52: Führungszeugnisse dagegen sparen. Und das hat dann in meiner Entscheidung ausgelöst,
00:39:58: zumal ich dann auch nicht zur Facharbeiterprüfung zugelassen wurde, weil ich nicht in der
00:40:01: FDJ war und nicht in einem Volkseigenbetrieb ausgebildet worden war, dann die DDR 1954
00:40:11: zuverlassen. Befasste irgendwie in Abgrenzung zum System oder in Opposition oder der DDR?
00:40:19: Kann man schon so sagen, ja. Ich habe mir also neugierig durch Zufall die Tage schon vom
00:40:25: siebten Oktober 1989 angeschaut und da gestern eine Repetage über so eine Demo am Alexander
00:40:30: ist und da laufe ich direkt durchs Bild. Ja, habe ich selbst gestaunt.
00:40:34: Wusstest du nicht, hast du dich...
00:40:35: Das habe ich nie so, habe ich nicht gewusst, ja.
00:40:38: Du warst dabei?
00:40:39: Ich war dabei, ja. Am siebten Oktober war ich dabei.
00:40:42: Was hat dich denn an der DDR gestört, am meisten gestört?
00:40:46: Ja, diese Begrenztheit, Perspektivlosigkeit, das Wissen, dass man keine Möglichkeit hat,
00:40:54: mal was anderes zu machen, dass man eben beruflich sehr stark eingegrenzt ist und dass man auch
00:40:59: ja dieser Wehrdienst war für mich auch so eine Bedrohungskulisse, die auf mich zukam.
00:41:05: Wie viele Jahre hättest du dienen?
00:41:11: 18 Monate.
00:41:12: 18 Monate.
00:41:13: Das war sozusagen die Mindestzeit, die alle dienen mussten.
00:41:15: Ja.
00:41:16: Ich habe damals im Aufbauverlack gearbeitet und dann gab es aus meinem Grund-Parteiversammlung,
00:41:22: das ist mir also eigentlich nur so hinterbracht worden und dann bekriegten die Kollegen auch
00:41:28: den Auftrag nicht mehr mit mir zu sprechen, weil ich sie ja politisch infizieren könnte.
00:41:35: Dann wurde ich von allen Auszeichnungslisten gestrichen, kriegte also auch nicht mehr
00:41:43: so etwas wie Beförderung oder sowas.
00:41:48: Aber ja, ich wurde auch einmal, wollte man mich zwingen, dass ich eine Unterschrift von
00:41:58: einer Eingabe zurückziehe, aber eine Eingabe, das war ein sehr formalisierter Vorgang in
00:42:04: der DDR, ein Schreiben, womit man sich über Dinge beschwerte und diese Eingabe hat aber
00:42:11: nur vier Wochen Gültigkeit und man konnte mich nicht nach einem Vierteljahr zwingen,
00:42:19: da diese Eingabe zurückzuziehen.
00:42:21: Also ich habe es dann formal getan und habe auch geschrieben, warum ich das mache,
00:42:28: nämlich weil ich von XY zu aufgefordert worden bin, also habe das auch so ein bisschen
00:42:34: auf dem Papier so Absurdung geführt.
00:42:36: Das größte Problem war halt so soziale Isolierung am Arbeitsplatz, aber es gab auf der anderen
00:42:45: Seite auch Kolleginnen und Kollegen, die dann extra kamen und mir Süßigkeiten oder Blumen
00:42:53: gebracht haben, um ihre Solidarität zu zeigen.
00:42:56: Und aus dieser Phase meines Lebens ist so das Witzigste, dass ich auch so von ganz verschiedenen
00:43:07: Leuten Kopien aus Stasi-Akten zugespielt bekommen habe, wo berichtet wird, dass Kollegen von
00:43:23: mir angeworben werden sollen, um über mich Berichte zu schreiben und sie haben das abgelehnt,
00:43:29: immer aus irgendwelchen Gründen, wissen sie, ich kenne die gar nicht, oder die Kolleginnen
00:43:37: reden nicht mit Genossen der SED, wissen sie das nicht, da komme ich nicht in Frage oder
00:43:43: so etwas.
00:43:44: Also unter dem Strich gesehen hat sich dann viele Jahre später herausgestellt, dass
00:43:50: die Stasi innerhalb dieses Verlages keinen gefunden hat, der mich bespitzeln wollte.
00:43:58: Im Nachhinein ist das ein sehr positives Votum, aber ich muss sagen, ich war ja so 24 oder
00:44:09: so, ich habe mich sehr allein gefühlt in dieser Zeit.
00:44:16: Nach den zahlreichen Zitaten, in denen wir mitgeteilt bekommen, wie Personen an und
00:44:25: in der DDR gelitten haben, isoliert waren, die DDR verlassen haben, weil sie keine Perspektive
00:44:32: mehr gesehen haben.
00:44:34: Wir kommen jetzt zu drei Zitaten von einem Kollegen von uns aus dem DRD von Holger Finken
00:44:44: und einer Kollegin, Anke Stahl, die darüber berichten, wie Menschen auch in der DDR geblieben
00:44:53: sind und ihren Unmut kundgetan haben mit der sogenannten Abstimmung mit den Füßen.
00:45:02: Mein Vater hatte eigentlich eher nichts mit der DDR am Hut, oder sagen wir mal immer
00:45:09: weniger am Anfang schon, aber das Verhältnis geschallte sich zunehmend schwierig, er hatte
00:45:15: dann auch massiven Ärger mit der Stasi und so weiter.
00:45:18: Und er hat mir das eigentlich immer geraten, ich soll mich möglichst von allen Fernhalten
00:45:23: in der DDR was irgendwie staatsnah oder politisch ist.
00:45:28: Man hat dann eben naturgemäß gehofft, dass das irgendwann, wenn die etwas älteren Herren
00:45:35: und manchmal Damen aus dem Politbüro dann biologisch abtreten in der einen oder anderen
00:45:41: Weise, dass das dann auch durchschlägt und dass dann zumindest das intellektuelle Klima
00:45:46: deutlich befreit wird, das war das, was man gehofft hat.
00:45:50: Ansonsten hatte man natürlich in der ganz späten DDR als Plan B durch immer den Gedanken,
00:45:59: dass mal jemand alleine da bleibt, eventuell auch noch ein Ausreiseantrag steht.
00:46:05: Also ich sage immer im Rückblick, in der zweiten Hälfte der 80er Jahre, könnte man
00:46:11: sich eigentlich nur irgendwo mehr blicken lassen, wenn man nicht einen Ausreiseantrag
00:46:14: laufen hatte.
00:46:15: Es ist ein bisschen ertreben, ja, aber in meiner Generation schon.
00:46:19: Ich bin ja auch Seminargruppenbetreuer gewesen, in meiner Seminargruppe ist es zwar nicht
00:46:26: passiert, aber in der von meinem Nachbarlehrstuhl Assistenten, der ist die ganze Seminargruppe
00:46:33: sukzessiv in Westen abgehalten, also über irgendwelche illegalen Sachen wie oder über
00:46:38: Ungarn oder sonst wie, also die ganze, wir hatten ja keine großen Seminargruppen.
00:46:43: Das waren so neun 80 sind wir jetzt ungefähr.
00:46:45: Ja, das waren so neun bis zehn Leute, aber diesen Buch stelle ich alle abgehalten, also
00:46:50: nicht manche, sondern alle.
00:46:52: So wie die Frau Klin das auch gesagt hat in dem Video eben, Aufreiseanträge ohne Hände,
00:46:57: man konnte nicht arbeiten.
00:46:58: Ja, teilweise eben auch ohne Ausreiseantrag eben durch geschickte Konstruktion über Ungarn
00:47:02: oder Heiraten ging ja auch.
00:47:04: Man hat in der DDR das noch tapfer versucht zu ignorieren, was da sich in den Städten
00:47:11: und an den Grenzen und im Ausland abspielt in der Czechoslovakia in Polen den Botschaften.
00:47:17: Und ich war im September noch mal in Prag, hab die ganzen leeren verlassene Trabanz da
00:47:25: gesehen rund um die Kleinseite, die die Leute da einfach zurückgelassen hatten, weil sie
00:47:30: sicher auf das Botschaftsgelände geflüchtet hatten.
00:47:33: Nachdem wir einige Beispiele zur Fluchtbewegung, Ausreiseanträgen, Angmas gehören zum guten
00:47:41: Ton gehört haben, kommen wir nun zu einigen Zitaten, die sich mit der Frage beschäftigen,
00:47:50: ob es nicht doch eine Möglichkeit gegeben hätte, in der DDR zu bleiben, ein lebenswertes
00:47:58: Leben zu führen.
00:47:59: Also ist die DDR nicht doch reformierbar.
00:48:02: Also ich sag's ganz offen, die Demonstration, die in Leipzig in der Tat vor unseren Augen
00:48:08: stattgefunden haben, den hatte ich persönlich ein blutiges Ende Prophetzeit.
00:48:17: Also ich habe nicht geglaubt, dass die Kommunisten sich von Demonstrierenden auf der Straße
00:48:23: in irgendeiner Weise in ihrer Machtausübung werden einschränken lassen.
00:48:26: Und insgesamt, vielleicht war das auch durch das chinesische Vorbild ein wenig, wie gesagt,
00:48:36: ich hatte, ich war nicht der Meinung, dass dieses System in irgendeiner Form ein Ende
00:48:40: finden würde.
00:48:41: Ganz im Gegenteil, ich war der Meinung, dass die Demonstrationen und sozusagen der Protest
00:48:47: dazu führen würde, dass die Zügel noch angezogen werden.
00:48:50: Da man die Zeit davor nicht wirklich als Student miterlebt hatte, kann man das nicht einschätzen.
00:48:55: Und ich war, wie gesagt, damals nicht der Meinung, dass das zu irgendetwas führen wird.
00:48:58: Dass man die Macht abgeben würde, nur weil die Bevölkerung unzufrieden ist, das war
00:49:04: unvorstellbar.
00:49:05: Und dass man nicht vor Gewalt zurückschreckte, das hatte ja die Geschichte auch gezeigt.
00:49:09: Also auch wenn das in der DDR nun nicht Alltag war, aber dass man gegebenenfalls auch militär
00:49:16: oder bewaffnete Kräfte einsetzen würde und das es auch Mitbürger gab, die das machen
00:49:21: würden.
00:49:22: Auch völlig klar, weil die Bevölkerung in der DDR war, glaube ich, gespalten.
00:49:27: Es gab auch einen großen Prozentsatz von Leuten, auch wenn das heute vielleicht keiner mehr
00:49:31: war haben will, die diesem Regime positiv gegenüberstanden.
00:49:34: Und damit wäre es also auch kein Problem gewesen, dort militär oder Polizei dazu zu bringen,
00:49:41: die eigenen Leute zusammen zu knippen und notfalls auch zusammen zu schießen.
00:49:44: Also da war ich relativ überzeugt davon.
00:49:49: '88, '89 waren die Diskussionen doch stark, was muss ich ändern?
00:49:54: Es war ja, Honecker war ja mehr oder weniger immer nur noch krank, war ja immer da, keiner
00:50:00: traute sich irgendetwas zu entscheiden.
00:50:02: Es war also eine Lehmung da.
00:50:05: Irgendwann wartete darauf, es muss entschieden werden und keiner hat was entschieden.
00:50:12: So eine San-Dossiere-Klösch-Stimmung, Litergie, Abwarten, Abwarten.
00:50:19: Und das war uns natürlich, war nicht sehr schön.
00:50:22: 7. Mai 1989, Kommunalwahlen, Alex, was fällt dir dazu ein?
00:50:30: Ja, das war ein markanter Punkt in dieser Oppositionsbewegung, sage ich mal, oder in
00:50:38: der Bewegung des Unmut, die Bürgerbewegung, die Bürgerrechtsbewegung, vielleicht besser
00:50:45: gesagt, oder die Bürgerrechtler, hatten sich in dieser Zeit ja schon formiert in verschiedenen
00:50:51: Gruppen, waren auch mit Unterstützung der Kirchen aktiv geworden und haben diese Kommunalwahlen
00:50:58: beobachtet und mit ausgezählt.
00:51:01: Und hier waren nun, wie immer, waren die Wahlen gefälscht worden, aber anders als vorher
00:51:09: konnte man darüber sprechen, konnte es belegen und ja, es war jetzt sozusagen deutlich geworden,
00:51:17: dass das System hier mit getürkten Karten spielt.
00:51:21: Und dazu hören wir eine Erinnerung von Matthias Fetzold.
00:51:26: Ja, es rummordete vor allem, weil in der Sowjetunion passierte was und in der DDR so gut wie gar
00:51:32: nicht.
00:51:33: Das war, mit solcher Situationen war man nicht vertraut.
00:51:37: Erinnerst du dich an Deine Sicht der Dinge damals, ich sage mal Gruppen '89 oder Anfang
00:51:44: '90?
00:51:45: Nun, das war vor allem verfolgen Gorbatschawischer Reformpolitik, die wahnsinnige Hoffnung machte
00:51:53: und gleichzeitig das Erleben des Bremsen in der DDR und ich erinnere mich an den siebten
00:51:59: Mai, das war die letzte Scheinvolkskammerwahl, wo ich mich dann auch traute, also ich bin
00:52:08: nicht der geborene Held, ich wurde nach der Wende mal einen FZ-Kreisen gefragt, das
00:52:14: war dann '91, '92 so und waren sie im Widerstand.
00:52:17: Diese Frage klang für mich, wie waren sie mit einer Waffe versteckt in den Wäldern
00:52:22: oder dergleichen mehr?
00:52:23: Also das Leben ist reichhaltiger als sich manche das vorstellen mögen.
00:52:28: Aber wo waren sie stehen geblieben?
00:52:30: Siebter Mai, Volkskammerwahl, ich bekam auch mehr Mut, ich erinnere mich, ich habe in
00:52:35: Rostock gewählt, das war mein Hauptwohnsitz, wieder geworden, weil mein damalsiger Lebenspartner
00:52:44: in Rostock lebte, ich bin in die Wahlurne gegangen, in die Wahlkabine gegangen, die
00:52:54: ist formal in der DDR geben musste, aber die betrat man nicht, die betrat man nicht,
00:53:00: das gehörte sie nicht.
00:53:01: Man falte den Zettel und gab ihn dann weiter und so, ich bin da reingegangen, habe das
00:53:04: alles durchgestrichen, ich hatte gelernt, wenn das ein Nein sein soll, dann darfst du nicht
00:53:07: so machen, sondern du musst, weil da stand die Liste der Kandidaten, siehst damals Kandidaten,
00:53:13: der Nationalen Front, da waren auch Frauen drunter, also der Kandidaten, Kandidatinnen,
00:53:16: der Nationalen Front, die musste man, brauchte man eigentlich nur zu falten und die nächste
00:53:21: in den Schlitz zu stecken.
00:53:22: Da bin ich in die Wahlkabine gegangen und habe jeden Namen durchgestrichen, sondern
00:53:25: bin ich raus.
00:53:26: Dann höre ich die Wahlergebnisse und dann dachte ich, das kann nicht sein, ich bin hier
00:53:33: nicht der geborene Held, aber ich werde nicht der einzige gewesen sein, der heute so gehandelt
00:53:36: hat.
00:53:37: Diese offensichtliche Wahlfälschung heizte die Stimmung weiter an und führte dann zu
00:53:45: politischen Aktivismus und dazu, dass wirklich die Massen auf die Straßen gingen und die
00:53:51: Ausdrucksform, das Format dazu, waren die Montags-Demonstrationen, die in Leipzig begannen
00:53:59: und dann in Dresden stattfanden und dann bald im ganzen Lande stattfanden.
00:54:04: Und dann hatten wir die Montags, die großen Demonstrationen auch im Oktober und da bestand
00:54:14: ja auch die Möglichkeit, dass diese Demonstrationen niedergeschlagen würden nach dem Vorbild von
00:54:24: China.
00:54:25: Das war selten ein Jahr, ich glaube nicht im April oder in Mai, waren die im Juni mit über
00:54:36: 2000 Toten, haben Sie das auch als Gefahr und Möglichkeit damals gesehen, dass das
00:54:46: auch in der DDR passieren könnte?
00:54:48: Ja, ich glaube in einer bestimmten Phase der Entwicklung, soweit ich mich erinnere, war
00:54:59: es tatsächlich so, dass wir alle, ich glaube die Mehrzahl der Menschen in der Bundesrepublik,
00:55:13: der damaligen Bundesrepublik, das mit großer Sympathie beobachtet haben, dass die Entwicklungen
00:55:24: weitergehen, in einer ungewohnten Weise sich weiterentwickeln und dass man dann gleichzeitig
00:55:34: aber auch, ich glaube es war keine Beklemmung in dem Sinne, aber es war doch dieses Gefühl,
00:55:42: dass man auch hoffentlich passiert jetzt nicht etwas Schreckliches, das heißt Euphorie
00:55:51: über eine Entwicklung, natürlich haben wir auch, wir waren jetzt nicht in dem Sinne
00:55:57: euphorisch, Stück vielleicht schon, dass man sagte, ach, wie schön, dass ich das jetzt
00:56:03: alles so gut weiterentwickeln, aber im Hintergrund, im Hinterkopf war sicherlich auch die Überlegung,
00:56:14: wie wird es weitergehen und wie wird man unter Umständen ein ähnliches Vorgehen wählen,
00:56:24: wie ja nicht nur bei dem Vorgehen auf dem Tierenermennplatz, sondern in Europa, das
00:56:34: war ja real politisch, wenn man so will, die direkte Sicht auf unseren Kontinent, da
00:56:40: hat es eben ungeangegeben, 1956 fragt 1968, dazwischen wie immer das zu bewerten ist
00:56:49: auch Ausruf um das Kriegsrechts in Polen, viele andere Entwicklungen, wie gesagt, also
00:56:59: das spielte war doch im Hinterkopf vorhanden, aber unter einem Strich überwog, glaube ich
00:57:07: doch die Hoffnung und dass man sagt, vielleicht wird es ja jetzt doch was.
00:57:12: Das war die Stimme von Albrecht von der Heiden, er ist Diplomat, er war damals im Auswärtigen
00:57:21: Amt in der Kulturabteilung, tätig auch zuständig für den Hochschulbereich und schilderte
00:57:26: hier, wie die westdeutsche Außenpolitik auf diese Veränderung in der DDR geschaut hat
00:57:33: und noch eine Außenperspektive, aber mit innen Betrachtung schildert uns jetzt Elspeth
00:57:41: Nowikiewicz, die als Studentin 1989 in Halle war und zu diesen Montagsdemonstrationen
00:57:50: nach Leipzig gefahren ist und berichtet, wie sie aus ihrer vor Ihrem polnischen Hintergrund
00:57:57: wahrgenommen hat, was sie dort gesehen hat.
00:57:59: Also wir sind, so viel ich mich erinnere, ganz zweimal nach Leipzig gefahren am Montag
00:58:06: zu der Demonstration, natürlich wir wussten nicht wie das funktioniert, ob es gefährlich
00:58:11: ist oder nicht, wie sich dann die damaligen Ordnungskräfte dann benemen werden, also wir
00:58:20: waren da, aber nicht mitten so, da vorne auf keinen Fall, also durch die evangelische Kirche
00:58:26: sind wir da an einer Gruppe, haben wir eine Gruppe von Menschen kennengelernt, da sind
00:58:33: wir dahin gefahren, sie haben uns begrüßt da in irgendeinem Raum und da sind wir zusammen
00:58:41: mit diesen jungen Menschen hingefahren, also hingegangen zweimal, ja.
00:58:44: Das war die Betrachtung, also einer Polin in Ostdeutschland und jetzt hören wir eine
00:58:50: Ausdeutsche in Polen, die von Warschau aus ja mitbekommt, dass sich die Dinge in der
00:58:56: DDR verändern müssen, zwar sie in ihrem Heimaturlaub auch überrascht ist von dem, was sich in
00:59:01: der Zwischenzeit verändert hat.
00:59:03: Ich war ein paar Wochen vorher im Sommer zu Hause und es gab schon Demonstrationen, ich
00:59:10: bin auch mitgegangen hier so einen Wochen einmal in Leipzig, aber im Sommer 1989, aber
00:59:18: das dann innerhalb von wenigen Wochen so einen Umsturz erfolgen könnte, das hätte ich nicht
00:59:25: gedacht.
00:59:26: Also erst mal nicht geglaubt und dann war natürlich die Aufregung groß bei uns im
00:59:32: Lektorat, wie geht das jetzt weiter und da gab es ja immer noch die Möglichkeit, dass
00:59:37: sich zwei eigenständige Staaten, die auf irgendeine Art und Weise vertraglich verbunden sind,
00:59:46: dass sich eine solche Entwicklung abzeichnen könnte, aber ja, wie wir dann wissen, ist
00:59:51: es eben doch ganz anders gekommen.
00:59:53: Wir bleiben in Sachsen, wenn wir jetzt Holger Finken hören, der nicht nach Leipzig zur
01:00:00: Demonstration gefahren ist, sondern in der Stadt, in der er damals gelebt hat, in Freiberg
01:00:06: mit seiner Frau an Demonstration teilgenommen hat.
01:00:10: Haben Sie was mitbekommen von den Montags-Demonstrationen, also die gab es ja in Leipzig und Freiberg
01:00:20: auch, aber ich glaube relativ schaumgebremst und es ist auch wieder eine etwas surrealistische
01:00:27: Sache.
01:00:28: Ich habe am 4. November 1989 promoviert oder verteidigt.
01:00:34: Moment, ein paar Tage früher, aber am 4.
01:00:39: November hat ich meine Party bestellt und am Abend und früh gab es ja in Berlin am
01:00:54: 4.
01:00:55: November diese große Demonstrationen mit teilweise eben auch SED-Prominenz, die dort aber naturgemäß
01:01:00: ausgebucht wurden und verschiedensten Leuten von Bürgerbewegungen, die dann eben gesagt
01:01:06: haben, so geht es nicht weiter.
01:01:08: Erich Mielke im Publikum.
01:01:09: Erich Mielke im Publikum, ja, kann sein, Markus Wollfeuhe auf der Bühne und wurde ausgebucht.
01:01:18: Jedenfalls, das wollte ich mir an aller Ruhe im Fernsehen angucken, meine Frau hat aber
01:01:23: beschlossen, dass wir zur Freiberge Demo zu gehen haben und das war insofern ganz gute
01:01:30: Idee im Nachhinein, als dort zwei Leute auftauchten in so einem gelben Ostfriesenerz und behaupteten,
01:01:37: sie wären das neue Forum Freiberg, die kannte ich nun, aber die waren beide von der Sektion
01:01:41: ML der Uni.
01:01:43: Also das zeigt schon, wenn das neue Forum schon aus solchen Leuten bestand, dann kann man
01:01:49: sich ungefähr ausrechnen, wie stark die Oppositionsbewegungen in Freiberg waren.
01:01:53: Das sieht sich also schon ein bisschen glänzen, aber es gab so etwas, ja, durchaus.
01:01:58: Erklären Sie für die jungen Leute, was die Sektion ML war?
01:02:02: Ja, also im ML wäre heute Machine Learning, da habe ich, ich habe ja auch ein Informatik-Programm,
01:02:07: damals war es Marxismus-Villainismus, ja, also eine Einrichtung, die man mit dem neuen Forum
01:02:15: der Opposition eher weniger in Verbindung bringen würde.
01:02:17: Ja, also 100-prozentige Partei-Leute.
01:02:20: Das würde ich nicht mal so unbedingt sagen, aber jedenfalls sicherlich keine Oppositionellen
01:02:26: und die beiden waren mit hoher Wahrscheinlichkeit, ich habe die Akte nicht gesehen, aber die
01:02:32: waren mit hoher Wahrscheinlichkeit natürlich auch eher Amsterdam-Stasi.
01:02:34: Wir haben jetzt sehr viel von Demonstrationen gehört, von Oppositionen zum Abschluss unserer
01:02:42: heutigen Episode, erleben wir noch einmal einen Perspektivwechsel, wir werden Rüdiger
01:02:48: Stahl hören, der als ehemaliger DDR-Bürger dem System sehr, sehr viel verdankt und
01:02:59: die Reformbestrebung zwar wohlwollend bewertet, aber der die DDR sehr, sehr gern erhalten
01:03:08: gesehen hätte.
01:03:09: Dass es Demonstrationen gegeben hat, dafür hatte ich eigentlich Verständnis, ohne diese
01:03:28: überschwingliche, dieses Bestreben der Demonstranten, sagen wir mal, eine totale Wende herbeizuführen
01:03:47: zu unterstützen, dass man Veränderungen in der DDR durchführen muss, das war mir schon
01:04:01: klar, nur zu dieser Zeit hat man da noch nicht darüber gesprochen und ist noch gar nicht
01:04:12: offen darüber gesprochen.
01:04:14: Vielleicht im Kollegenkreis, den man gut kannte, es kam dann immer zu stärkeren Demonstrationen,
01:04:29: an denen ich nicht teilgenommen habe, die habe ich nur aus der Presse, aus dem Fernsehen
01:04:37: miterlebt und gesehen, aber es war eine höchst interessante und spannende und diskussionsfreudige
01:04:47: Zeit, die wir in diesen Jahren erlebt haben.
01:04:54: Immer vom Grundgedanken aus, es ist richtig, dass es eine Erneuerung in der DDR, in der
01:05:07: politischen Führung der DDR geben muss und die mit Sicherheit verdienten Persönlichkeiten,
01:05:21: die die DDR-Führung ausmachte, nämlich Politbüro und Zentralkomitee und diese Ausrichtung
01:05:32: auf eine alles beherrschende Partei, obwohl es ja fünf andere Parteien gab, diesen Zustand
01:05:43: zu beenden und die DDR mehr zu öffnen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, denn Reisefreiheit
01:05:52: bedeutete, die Wiesen haben und die gab es nicht oder nur im geringen Umfang.
01:06:00: Das heißt, ich habe diesen Demonstrationen recht offen gegenübergestanden, habe mich
01:06:11: aber über diese Haltung, nun sagen wir mal, in der ersten Zeit nicht öffentlich geäußert.
01:06:22: Da wusste man nicht, wie man reagiert hätte, zumal ich anfing, meine Arbeit immer mehr
01:06:31: als interessante Arbeit zu empfinden und es für mich persönlich nicht gut gewesen
01:06:38: wäre, wenn ich durch solche Haltungen dort Schwierigkeiten bekommen hätte.
01:06:46: Das war unsere Episode "Das Systemgerät ins Wanken".
01:06:51: Es wankt so stark, dass am 9.11.1989 die Mauer fällt.
01:06:56: Dazu gibt es eine eigene Episode.
01:06:59: Wieder mit uns, lieber Alex, ich freue mich drauf.
01:07:03: Seid bereit.
01:07:04: Immer bereit.
01:07:05: Danke, Elke, dass du mit mir heute diese Episode präsentiert hast und der Dank geht auch
01:07:12: an Frau Geschick, die das Skript.
01:07:15: Ja, unbedingt.
01:07:16: Geschrieben hat für diese Serie und dann sage ich bis zum Mauerfall.
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